„Bioökonomie ist Schlüssel zur Transformation in Mitteldeutschland und der Lausitz“, Interview mit Dr. Romy Brödner


Die Braunkohlereviere in Mitteldeutschland und der Lausitz stehen im Zuge des Kohleausstiegs und dem Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft vor einem weitreichenden Transformationsprozess. Dadurch ergeben sich wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich große Herausforderungen und Chancen zugleich. Wie kann dieser Prozess in den Revieren gelingen? Welche Rolle kann die Wirtschaftsform Bioökonomie übernehmen? Und wo liegen die besonderen Stärken der Region Mitteldeutschland und Lausitz? Dazu spricht Dr. Romy Brödner, Leiterin des Projektes „MoreBio“ am DBFZ, im Interview. 

Mit dem Ziel, Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral umzugestalten, ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Ende dieses Jahrzehnts verbunden. Welche Herausforderungen ergeben sich für die Kohleregionen mit dem Ausstieg? 

Die Braunkohlereviere stehen vor einer weitreichenden Transformation. Denn die Regionen müssen sich als Industrie- und Wirtschaftsstandorte neu positionieren und definieren. Neue Perspektiven sollen noch vor dem Kohleausstieg etabliert sein. Eine Möglichkeit für die erfolgreiche Transformation, ist die Bioökonomie. Damit ist der Übergang von einem bislang fossil-basierten hin zu einem auf biogenen Rohstoffen basierten, nachhaltigen und zirkulären Wirtschaftssystem gemeint.


Wie ist die Bioökonomie zu verstehen und worin liegen die Vorteile?

Die Bioökonomie bietet die Möglichkeit ökonomische und ökologische Entwicklungen miteinander in Einklang zu bringen. Die Wirtschaftsform ist zunächst als großes System zu betrachten. Im Mittelpunkt stehen die Erzeugung, Erschließung und Nutzung biologischer Ressourcen im Rahmen eines kreislauffähigen Wirtschaftssystems. Alle wirtschaftlichen Sektoren und deren Produkte, Verfahren und Dienstleistungen, werden mit eingerechnet.
Der Vorteil darin: Die Bioökonomie spielt vor allem für lokale Ansätze eine große Rolle und kann damit die Regionalentwicklung stärken – insbesondere auch in ländlichen Räumen. Gerade dann, wenn es gelingt, die vor Ort erzeugte Biomasse verstärkt in der Region zu verarbeiten. Das verkürzt Tramsportwege, ist klimafreundlich, schafft neue Wertschöpfungsmöglichkeiten und Beschäftigung und stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe.   


Am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) leiten Sie das Projekt „MoreBio“. Hier beschäftigen Sie sich mit der Untersuchung der zwei Braunkohlereviere Mitteldeutschland und Lausitz. Welche Aspekte haben Sie sich im Projekt genauer angeschaut?

Wir untersuchen die Ressourcen und Strukturen in den Revieren vor dem Hintergrund des Transformationsprozesses und prüfen, ob die Reviere als „Modellregionen der Bioökonomie“ geeignet sind. Beispielsweise haben wir die vorhandene Biomassebasis detailliert analysiert und die Frage beantwortet, welche land- und forstwirtschaftlichen Ressourcen es in den Regionen gibt und wie diese bisher genutzt werden. Für uns sind aber auch die bestehenden oder zu mobilisierenden Kapazitäten an Nebenprodukten oder Rest- und Abfallstoffen wie Altholz, Stroh, Altpapier oder Grünschnittabfälle interessant. Außerdem analysiert das MoreBio-Projekt die regionalen und bioökonomierelevanten Wirtschaftszweige, Forschungsbereiche und den Arbeitsmarkt. 


Wie gestaltet sich hierbei die Ausgangslage für die Reviere?

In der Land- und Forstwirtschaft sind die Regionen bestens aufgestellt. Es werden viele landwirtschaftliche Hauptprodukte wie Getreide, Zuckerrüben und Mais angebaut und verarbeitet, das ist eine sehr gute Ausgangslage. Aus forstwirtschaftlicher Sicht existieren in Brandenburg und den Grenzgebieten zu Polen und Tschechien umfassende Holzressourcen. Es gibt aber auch große Mengen an Rest- und Abfallstoffen wie Sägespäne oder Rinde und generell ein großes Potenzial beim Altholz. Das regional vorhandene Wissen, also die praktischen Erfahrungen der Fachkräfte oder die vorhandenen Kompetenzen der Forschungseinrichtungen, ist eine weitere wichtige Ressource und Grundlage für die Entwicklung neuer, passfähiger Ideen. Die Wissensbasis zur Entwicklung der Bioökonomie in den Regionen ist hervorragend bis exzellent ausgestaltet.


Wie haben Sie im Projekt die verschiedenen Einblicke in die Reviere gewinnen können?

Das geht natürlich nicht ohne die regionalen Akteure. Sie sind die Expertinnen und Experten ihrer Regionen. Bei uns steht die aktive Einbindung der Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Gesellschaft klar im Mittelpunkt. Nur so können die Bedarfe aus der Region sinnvoll aufgenommen werden und zu Ideen werden, die auch gemeinsam getragen werden. Mit diesem Ansatz haben wir die Möglichkeit, Handlungsempfehlungen an die Politik und andere Entscheidungsträger*innen zu geben und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die mit den Vor-Ort-Akteuren passend abgestimmt sind.


Was verbirgt sich hinter der Idee einer „Modellregion der Bioökonomie“?

Hinter der „Modellregion“ steckt die Idee, Mitteldeutschland und die Lausitz zu Schaufenstern für biobasiertes Wirtschaften mit hoher industrieller und wissensbasierter Wertschöpfung zu entwickeln. Als Beispiele guter Praxis können andere Regionen im In- und Ausland von den Prozessen und Erfahrungen zur Stärkung der Bioökonomie in den Modellregionen profitieren. 


Eignet sich der Ansatz der Bioökonomie für die Regionen Mitteldeutschland und Lausitz?

Ja, denn es gibt eine starke bioökonomische Basis in beiden Revieren. In der Lausitz zum Beispiel gehören bereits heute ein Achtel der Beschäftigten zu bioökonomierelevanten Branchen wie der Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft oder Textilwirtschaft. Und wenn wir die Umsätze in Mitteldeutschland betrachten, dann sind es ein Fünftel der Umsätze, die in der Bioökonomie generiert werden. Die Ernährungsindustrie ist dabei für Mitteldeutschland sehr bedeutend.


Elementar sind künftig spezifisch ausgebildete Fachkräfte. Wie gestaltet sich die Entwicklung des Bildungssektors hinsichtlich der Bioökonomie?

Qualifiziertes Personal ist enorm wichtig, um innovative zukunftsfähige Wirtschaftsstandorte zu etablieren. Schon heute sehen wir, dass in den Regionen Lausitz und Mitteldeutschland die Fachkräfte mit Bioökonomie-Background und abgeschlossener Berufsausbildung zahlreich vorhanden sind. Allerdings liegt in beiden Revieren das erzielte Entgelt in den Bioökonomie-Branchen deutlich unterhalb des regionalen Lohndurchschnittes. Zur Steigerung der Attraktivität muss eine bessere Entlohnung in den Bereichen der Bioökonomie erzielt werden, um damit den Nachwuchs und die Fachkräftebasis zu sichern.


Wo sehen Sie für eine erfolgreiche Entwicklung der Bioökonomie weitere wichtige Stellschrauben?

Die Untersuchungen im Projekt haben gezeigt, dass das Mitteldeutsche und Lausitzer Revier über gute Voraussetzungen zur Entwicklung der Modellregion der Bioökonomie verfügen. Wir sehen die Bioökonomie als Schlüssel der Transformation! Wir haben ermittelt, dass in beiden Revieren die Rohstofferzeugung und die Weiterverarbeitung, räumlich integriert werden und regionale Wertschöpfungsketten sinnvoll ergänzt werden können. Außerdem gibt es eine Vielzahl an Aktivitäten und Akteuren im Feld der Bioökonomie. Eine weitere wichtige Stellschraube für die Entwicklung der Bioökonomie wird ein ausgereifteres und länderübergreifendes Kontaktmanagement sein. Es bedarf einer Koordinierungsstelle um den Netzwerkaufbau und Aufbau von Leitmärkten sinnvoll mit Themen wie Forschung, Nachhaltigkeit und Biodiversität zu verknüpfen.